Die ersten Jahresrückblicke wurden anscheinend schon niedergeschrieben, stellte ich letztens an einem kühlen Morgen fest, als ich mich mit einer Tasse Kaffee im Bett verkrümelte und durch das Internet stöberte. Gleichzeitig fiel mir auf, dass ich wohl ein sehr egoistischer Mensch sein muss, denn Reflexionen des vergangenen Jahres interessieren mich nur im persönlichen Austausch mit FreundInnen an diversen WG-Küchentischen oder bei mir selbst.
Wie schön, dass ich das Internet habe um meinen egoistischen und selbstverliebten Trieben freien Lauf zu lassen – eine Tatsache die mir nicht nur öfter unterstellt wird, sondern der ich jetzt endlich auch einmal gerecht werden möchte.

Ich habe mich also gefragt, was war mein schönster Moment dieses Jahr? Woran werde ich mich auch nach der sinnlosen Silvesterknallerei noch erinnern können, in welchen Situationen bin ich gewachsen und natürlich die wichtigste Frage, welche Reiseziele kann ich jetzt endlich von meiner Liste streichen?
So oft und gern ich mich selbst dabei erwische, genau diese Fragen zu formulieren, was war das Beste, das Schlechteste, das Außergewöhnlichste, genauso oft verdrehe ich genervt die Augen und kann selbst keine Antworten darauf finden. Darf ein Jahr eigentlich auch einfach einmal vorüberziehen?

Nach mehr oder weniger kurzer Überlegung, habe ich beschlossen diesen ganzen Small-Talk zu unterlassen. Denn mal ganz ehrlich, wen interessiert es wie viele Länder wir dieses Jahr besucht haben oder welche(r) KünstlerIn auf Spotify bei uns den ersten Platz einnimmt? Warum verfallen wir bei diesen Reflexionen des vergangenen Jahres immer in ein melancholisches „Ach, es war doch so schön!“ und vergessen dabei auf keinen Fall zu erwähnen, wie krass die letzten Monate waren?

Zurück also nun zu meiner egoistischen Person. Dieses Jahr war so nervenaufreibend und schön zugleich, dass ich mehr als einmal mit einem schlechten Gewissen dastand und mich fragte, warum ich glücklich sein kann, während es den Menschen die mir am meisten bedeuten noch nie schlechter ging. Ein Zwiespalt mit dem ich mich befasste, während ich damit konfrontiert wurde, was es bedeutet auf einmal für die Menschen stark zu sein, zu denen ich lernte aufzuschauen.
Unter diesen drei Sätzen kann sich wahrscheinlich gerade niemand etwas vorstellen, es sei denn man war eine der Personen die mich immer wieder ermutigt haben. Deshalb dachte ich es wäre nett diese Passagen des Rückblicks mit ein paar Zitaten aus den jeweiligen Momenten zu schmücken. Denn auch, wenn es hier immer ruhiger wurde, kritzelte ich fast täglich mehr oder weniger relevante Informationen in ausgefranste Notizbücher.

01.04.2019
“Wie absurd es sich doch auf einmal anfühlt, für eine Person stark sein zu müssen, welche sonst mit breiten Schultern vor mir stand und mich vor jedem Sturm beschützte. Eine Person die immer für mich eingestanden ist, mich immer unterstützte und jetzt auf einmal hilflos, voller Angst vor mir sitzt und nervös die Hände zusammenfaltet. Wie verrückt doch der Gedanke erscheint, dass diese Person irgendwann, nein vielleicht sogar schon sehr bald, nicht mehr in meiner Nähe sein könnte und mit einem letzten tiefen Atemzug noch ein furchtbar schmerzhaftes Mal ihre Lunge mit Luft füllt.

Ich befinde mich im freien Fall, einem Fall den ich nicht mehr greifen oder realisieren kann. In einer Welt die ich nicht mehr verstehen möchte, sie scheint mit mir zu gehen und dabei zerbricht alles, was in den letzten Jahren an Fassade aufgebaut werden konnte. Es bleibt nur noch eine Frage der Zeit, bis wir herausfinden welches Herz als erstes mit einem unsanften Schlag auf den immer näher rückenden Boden der Realität zerbricht.”

Ganz nebenbei fiel mir auf, dass ich mich selten nur mit einer Sache beschäftige und sich das anscheinend langsam auch auf mehrere Städte aufteilte. Vielleicht kennt ihr dieses Gefühl, immer dann gehen zu müssen wenn es gerade am schönsten wird, es beschreibt mein Jahr mit einer vollen Punktlandung. Was mich daran knabbern lässt sind mehrere Gespräche und die Feststellung, dass ich mit diesem Gefühl nicht allein bin. Nicht mit dem des ständigen hin und her pendelns, sondern mit dem dauerhaften Gedanken Stress ausgesetzt zu sein und der traurigen Tatsache, sich Verabredungen mit FreundInnen in einen Terminkalender eintragen zu müssen.

25.08.2019
“Die Gründe für meine Zugfahrten habe ich schon vor einer Weile vergessen, ich fahre mittlerweile fast täglich von einer Stadt zur nächsten. Ich bin Teil einer so flexiblen und spontanen Generation, dass ich den Überblick über meine Reisen selbst verloren habe und die gewonnene Freiheit der Unabhängigkeit in Zügen zelebrieren zu scheine.
Wenn ich die Situation noch einmal ganz nüchtern betrachte, stellt sich mir die Frage nach dem Warum immer häufiger. Warum teilt sich mein Leben auf drei verschiedene Städte auf? Warum verlasse ich jeden Ort immer genau dann, wenn ich gerade zur Ruhe zu kommen scheine? Warum flüchte ich mich immer wieder in eine neue Stadt, anstatt einfach einmal wirklich da zu sein?
Zu Hause ankommen fühlt sich anders an, aber darum geht es mir in diesem Moment gar nicht. Ich möchte einfach einmal hier bleiben und da sein.”

Nehmen wir als letzten Batzen noch die Fotografie dazu, sind wir nicht einmal ansatzweise an allen Stellen angekommen, welche mich dieses Jahr beschäftigt haben, aber haben zumindest die wichtigsten davon abgeklärt. Im Raum stand für mich immer wieder die Frage, welchen Sinn ich hinter meinen Bildern sehe, warum ich überhaupt fotografiere, wohin mein Weg mit der Fotografie später hingehen soll und warum ich mich schon wieder vor mir selbst langweile.
Das scheinen die normalen Fragen zu sein die sich jeder kreative Mensch über das Jahr hinweg stellt, ich bin aus meinem Tief nur mit größter Mühe wieder herausgekommen und stecke immer noch mit einem Fuß darin. Ich hinterfrage, probiere und komme trotzdem zu keinen neuen Lösungsansätzen und glaubt mir, eine neue Kamera ist in diesem Fall kein sinnvoller Ausweg.
Was mich daran stört sind die sozialen Plattformen, auf denen nie ein Wort darüber verloren wird und ein Algorithmus, der mich scheinbar dazu zwingt trotzdem weiter zu posten, um nicht an Relevanz und noch mehr Motivation zu verlieren. Bullshit, denkt ihr euch jetzt, aber seine eigene Arbeit von der Anerkennung anderer Menschen zu trennen bleibt bei mir weiterhin ein großer Backstein, den ich mit mir herumtrage.

Um die Aufzählung komplett zu machen, könnte ich natürlich noch die großartigen Bekanntschaften der Menschen hinzufügen, denen ich dieses Jahr über den Weg gelaufen bin. Ich könnte über Momente schreiben, in denen ich Bauchschmerzen vor Lachen bekam, über die Hürden die ich meisterte und wie stark ich daraus hervorgegangen bin. Ich könnte über einen warmen Sommer am See berichten, die ersten Tage in der Uni und dem Gefühl in einer wohligen Atmosphäre angekommen zu sein, aber wen interessiert das schon?

Ich möchte nicht die kläglichen Versuche lesen, das eigene Jahr in einem perfekten Licht darzustellen, auf die Art und Weise wie wir unser Leben täglich in den sozialen Medien präsentieren. Es geht immer auf und ab und manchmal eben ein kleines Stück weiter bergab. Das sind aber in keinem Fall Ecken und Kanten die wir entweder beschönigen, oder in einem sehr dramatisch übertriebenem Instagramposting zusammenfassen müssen. Es ist genauso okay kurz innezuhalten um festzustellen, dass gerade alles ziemlich beschissen läuft, genauso wie es okay ist sich davon einmal komplett loszulösen, die Arme auszubreiten und den Moment zu genießen.

Selbstportrait
Kamera: Canon EOS​ 5D Mark IV
Objektiv: 50mm / f1.4