Die Gefühlssituation in der ich mich befinde, lässt sich nur schwer mit Worten beschreiben, manchmal erscheint es mir wie ein Ding der Unmöglichkeit. Ich habe ein paar Schlucke Wein getrunken, um mich vorsichtig heranzuwagen und mir selbst zu versichern, ich werde die Formulierungen in die richtige Richtung lenken können. Beginnen möchte ich mit groben Wahrnehmungen, um mich dann langsam an die Details heranzutasten, diese Vorangehensweise erscheint mir am sichersten.
Ich fühle mich allein, obwohl ich nicht allein bin. Das beschreibt es wohl am besten. Alleinsein ist kein Problem, was mich erst seit gestern beschäftigt. Ich kann nicht allein sein, weil ich mir selbst nicht genug bin und mich meine eigene Anwesenheit bis zu einem gewissen Maß anwidert. Zur Verdeutlichung dieses Fakts habe ich ausführliche Recherche betrieben und mich in meinen alten Tagebüchern belesen.


Am 25. Juni 2021, Freitag, stellte ich eine Liste mit allen Dingen auf, die mich an mir selbst unglücklich gemacht haben in den letzten Jahren. Ich schrieb über den Drang ein Leben ohne die eigene Unzufriedenheit führen zu wollen, über den inneren Druck den ich mir selbst mache, über Perfektionismus und das Verdrängen meiner eigenen Gefühle, weil ich ihnen nicht gewachsen bin. Ich fragte mich, warum ich es nicht schaffe Erfolge anzuerkennen und beschreibe meine Lebenswelt als „schwarze Dunkelheit“ oder „dunkles Loch“. Darüber, nicht richtig verstanden zu werden, allein und einsam zu sein und der Angst hier nicht hinzugehören. Ich schrieb über die ständigen Vergleiche mit anderen Menschen und wie ich mich dabei selbst in einem schlechten Licht darstelle, denn ich werde nie gut genug sein. Ich bin schwach und verletzlich, aber mein gesamtes Leben ist eine Lüge, denn diese Schwäche darf ich nicht zeigen. Eine Zeit lang schien ich das Gefühl glücklich sein zu können verloren zu haben schlussendlich eine Fassade vor mir getragen, ich wiederhole mich, andere Menschen dürfen auf keinen Fall meine Schwäche erkennen.
Tränen hatte ich in den Augen, als ich Passagen über das Ziehen in meiner Brust gelesen habe, die Erinnerungen erlebte ich in diesem Moment noch einmal. Es ist das Ziehen in der Brust was mich Richtung Boden zieht. Alles ist schwarz und dunkel. Alles dreht sich. Verschwimmt vor meinen Augen. Ich kann nichts mehr fassen, nicht einmal mehr mich selbst. Dabei muss ich doch eine Fassade aufrecht erhalten. Aber alles was ich fühle ich Antriebslosigkeit, obwohl sie mir lieber ist als der Schmerz. Alles was ich möchte ich weglaufen, dabei wüsste ich nicht einmal wohin.


Zugegeben, die Recherche war vielleicht etwas zu ausführlich, ich habe zwischendrin meinen Faden verloren und saß eine Weile bewegungslos auf dem Boden und habe die Wand angestarrt. Eigentlich wollte ich über das Gefühl schreiben mich allein zu fühlen, obwohl ich nicht allein bin.
Es gibt die Minuten, Stunden und manchmal ganze Tage, an denen ich mich verloren fühle. Mein innerster Wunsch ist es dann, mich in einer Umarmung aufgehoben zu fühlen. Die Wärme, Zuneigung und Mitgefühl zu spüren und mich davon aufsaugen zu lassen. Jetzt kommt der Teil, den ich selbst noch nicht verstehe. Ich habe unglaublich viele emphatische Menschen kennengelernt, die bestimmt gern in solch einer Situation für mich da wären und mich in ihre Arme nehmen. Aber ich schaffe es nicht sie zu erreichen.
Ich weiß nicht wen ich anrufen könnte, weil ich niemandem zur Last fallen möchte und Hilfe nicht annehmen könnte. Würde ich Schwäche vor einem Menschen zeigen, würde ich seine Zuneigung in diesem Momenten bekommen, könnte ich mich nicht dankbar darin fallen lassen, sondern würde mich schuldig fühlen. Weil ich der festen Überzeugung bin, dass ich so viel Liebe nicht verdient habe. Was habe ich schon geleistet, damit mich jemand gern hat und was könnte ich zurückgeben? Richtig, nicht besonders viel.
Ein Zwiespalt in dem ich voller Verzweiflung festhänge. An irgendeinem Punkt, wahrscheinlich war es nicht einmal ein besonderer Anlass, scheine ich gelernt zu haben, dass ich allein mit meinen Gefühlen umgehen muss. Ich darf keine Emotionen zeigen, ich darf die Kontrolle nicht verlieren, ich darf keine Schwäche zeigen, ich muss funktionieren, sonst möchte mir niemand mehr seine Aufmerksamkeit schenken. Und deswegen fühle ich mich lieber allein, obwohl ich nicht allein bin, weil ich keine Hilfe annehmen kann, schließlich habe ich sie nicht verdient.


Bis die große Explosion kommt. Denn weil ich mich gern an Menschen binde, die wenig Empathie zeigen und hoffe, von ihnen gerettet zu werden, fühle ich mich noch einsamer. Und dann schlucke ich meine Selbstzweifel so lang herunter, bis ich nicht mehr kann und mein Herz nach Aufmerksamkeit brüllt. Panikattacken sind mein letzter Hilfeschrei nach Liebe, nach Anerkennung und dem Gefühl von Geborgenheit. Nach genau dem Menschen der mich in den Arm nimmt. Ich bekomme Panikattacken, wenn ich mich nicht sicher fühle, nicht gut genug, nicht geliebt.
Bewundernswert finde ich die Feststellung, dass mein Körper nur in diesen Zustand verfällt, wenn kein Mensch da ist der mich versteht. Am 31. August 2021, Dienstag, habe ich eine weitere Liste aufgestellt. Dinge die mir vermittelt wurden, als ich eine Panikattacke durchlebte. Ich beschrieb mehrere Situationen in denen die Menschen um mich herum keine Empathie zeigen konnten und nicht gestört werden wollten oder schlafen mussten. Ich hörte oft Sätze wie „Reiß dich zusammen“, „Stell dich nicht so an“, „Mach nicht so ein Drama“, „Ich habe jetzt keine Zeit für sowas“, „Warum brauchst du immer so viel Aufmerksamkeit?“ oder „Du bist schon immer sehr unnahbar, deshalb kann ich jetzt auch nicht für dich da sein“. Es ist immer wieder ein brutaler Stich mitten in mein Herz. Ich habe gelernt, dass die Bedürfnisse der anderen Menschen wichtiger sind als mein Körper, der mir beängstigende Signale wie Atemlosigkeit, Übelkeit, Schwindel, Enge in der Brust, diese riesige innere Leere und das Gefühl nicht mehr hier sein zu wollen, gibt. Ich bin die Person die falsch ist und nicht funktioniert. Einige Menschen haben mir den Rücken zugewendet und mich verlassen, weil ich zu viele Emotionen zeige.


Vielleicht ist das der Grund, warum es mir so schwer fällt nach Hilfe zu fragen. Die Frage nach Hilfe bedeutet in meiner Welt Ablehnung und nur eine weitere Enttäuschung vor der ich mich schützen möchte. Um nicht wieder und wieder verletzt zu werden. Wenn ich mich selbst verletze, kann ich mir wenigstens auch selbst die Verantwortung und Schuld dafür zuweisen. Wenn ich mich allein allein fühle, habe ich wenigstens mich an meiner Seite.
Wenn ich darüber schreibe, fühle mich besser. Weil ich weiß, dass da draußen noch mehr Menschen sind, die nicht gesehen werden und alles herunterschlucken, um funktionieren zu können. Ich fühle mit euch. Und vielleicht erkennen wir unser Problem, analysieren alles sorgfältig, verstehen wo Verhaltensmuster entstanden sind, aber schaffen es das nächste Mal trotzdem nicht, nach Hilfe zu fragen. Aus Angst missverstanden und enttäuscht zu werden. Dann lasst uns wenigstens daran denken, dass wir nicht allein sind, obwohl wir allein sind.
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