Wie sieht meine innere Welt aus und welche Erwartungen habe ich an mich selbst?

Ich habe meine Augen geschlossen und in mich hinein gefühlt. Ich wollte meine innere Welt erkunden, aber stand in einem dunkelbraunem, leicht gräulichem Raum mit halb abgezogener Tapete an den Wänden. In den Ecken hingen Spinnweben und die Einrichtung sah aus, als wäre sie von ihrer Besitzerin vor langer Zeit überstürzt zurückgelassen worden.
Mittig im Raum stand ein alter vergilbter Holztisch, die Stühle um ihn herum waren umgestoßen. Hier scheinen keine gemütlichen Zusammenkünfte mehr stattfinden, dachte ich mir traurig. Alles erschien dunkel, die Fenster waren klein und es kam kaum Sonnenlicht herein. Nur auf der linken Seite, da tanzten angestrahlte Staubkörner langsam in einem hellen Strahl vor sich hin.

Meine innerer Raum bräuchte ein bisschen Liebe, Renovierungsarbeiten müssten angestoßen werden, für die mir die Kraft zu fehlen scheint. Ich sehe mich kämpfen, alles um mich herum wirkt so kaputt, dass ich manchmal nicht weiß wo ich anfangen müsste und manchmal nicht weiß, ob ich dem jemals gerecht werden kann.

Wo hat der Verfall begonnen? Ich fühle einen großen Schmerz in mir, wenn ich daran denke wie oft ich von Menschen die mich lieben sollten verletzt wurde. Wie ich immer auf der Suche nach Zuspruch war und damit allein gelassen wurde. Und wie ich daraufhin begonnen habe zu glauben, ich könnte mich nur auf mich selbst verlassen. Was schon immer eine unlösbare Aufgabe gewesen ist, denn wie kann ich mir selbst genug werden, wenn doch gleichzeitig die Erwartungen an mich nie erfüllt werden können?

Ich erwarte von mir selbst immer stark zu sein und keine Schwäche zu zeigen. Der leicht kaputte dunkle Raum in mir wurde mit einem großen Schloss dekoriert, denn ich könnte nicht damit Leben, jemanden hineinzulassen. Ich würde mich nicht nur verletzlich machen, ich würde meinen Schmerz teilen, aber ihn dabei noch einmal durchleben müssen. Aber das kann ich nicht zulassen, denn ich muss funktionieren, weitermachen und nach meinem selbst auferlegten Perfektionismus streben. Alles andere wäre nicht gut genug.

Mir stellt sich gerade die Frage, ob ich von mir selbst erwarte niemals schwach zu wirken. Oder ob diese Erwartung nicht von anderen Menschen auf mich gelegt wurde. Ich habe nicht gelernt innezuhalten, in mich zu hören oder im besten Fall sogar Tätigkeiten auszuführen die mich erfreuen könnten. Ich erinnere mich schon immer nur an das funktionieren und weitermachen. Für eventuelle Renovierungsarbeiten und Kraft schöpfen blieb keine Zeit. Die Welt in der ich aufgewachsen bin hat nicht darauf gehört, was meine Bedürfnisse sind oder ob sie erfüllt werden könnten und ich scheine mein Gefühl für sie verloren zu haben. Ich weiß nicht, was ich möchte und ich weiß nicht, wann ich mich erfüllt fühle. Es fällt mir schwer einzuschätzen, ob Dinge gerade einfach getan werden müssen. Oder ob ich sie aus Freude und Eigenantrieb erledige. Wie auch immer, am Ende scheint sich alles um mein abgeliefertes Produkt und weniger um den Prozess zu drehen. Es gibt nur ja/nein, schaffen oder scheitern und keinen Weg dazwischen.

Kein Wunder, denke ich mir manchmal, dass mir oft alles zu viel wird und ich das Bedürfnis bekomme, mich tagelang in meinem Bett unter der flauschigen Decke zu verkriechen. Aber das sind nur kurze Momente, ich muss schließlich weitermachen.

Manchmal würde ich gern in der Zeit zurück reisen und die jüngere Version meiner Selbst umarmen. Ich würde ich gern die Sätze sagen, die sie nie gehört, aber so sehr gebraucht hätte. Damit sie nicht erst an den Punkt kommt, an dem ich jetzt stehe und mich oft hilflos fühle. Ich weiß, dass es funktionieren kann sein inneres Kind zu heilen. Mit sich selbst Frieden zu schließen, zu vergeben und Gefühle anzuerkennen. Ihnen einen Raum zu geben. Wo ich die Kraft dafür hernehmen soll frage ich mich und werde wütend auf die Menschen, die sich diesem Prozess stellen. Neid überkommt mich, obwohl ich weiß, dass ich selbst auch auf einem guten Weg bin. Ich scheitere nur immer wieder daran mir selbst Zeit zu geben, kleine Schritte anzuerkennen und liebevoller zu sein. Die Idee direkt auf perfektem Wege an das Ziel zu kommen und dies so schnell wie möglich ohne Rückschläge, denn sie bedeuten Scheitern, hängt mir doch noch im Kopf herum.

Um meinem inneren Anspruch gerecht zu werden, möchte ich am Ende des Textes wenigstens meine begonnene Metapher beenden. Wenn meine innere Welt aussieht wie ein zerfallener alter Raum, darf ich Vorstellungen haben, wie er aussehen könnte. Dekoriert mich einer Menge Pflanzen, Bücherregalen an den Wänden und einem großen Tisch, an dem die verschiedensten Menschen gern für einen Austausch zusammenkommen. Wir sind alle schon einmal umgezogen. Eine Einrichtung funktioniert nicht von heute auf morgen, vielleicht müssen wir uns das passende Werkzeug ausborgen und suchen auf dem Flohmarkt vergebens nach einem passenden Schrank für die hintere Ecke, die nicht ganz fertig werden will. Manche Dinge brauchen Zeit und das ist völlig in Ordnung. Es geht nicht immer darum so schnell wie möglich alles zu erledigen, dabei mache zumindest ich mich selbst kaputt. Daran würde ich gern öfter denken, wenn ich schon morgens mit einer viel zu langen To-Do-Liste im Kopf aufwache. Gib dir Zeit. Du hast um dich herum riesige Mauern gebaut, um den kleinen Raum in dir vor Verletzungen zu schützen, aus Angst er könnte noch weiter zerstört werden. Sie werden nicht von heute auf morgen verschwinden können und schon gar nicht schaffst du es gleichzeitig alles wieder aufzubauen. Und das ist in Ordnung.

11.07.2021
Selbstporträt
Leipzig

Fotografiert mit:
Canon EOS 5D Mark IV
35mm f2,0

Studiobeleuchtung:
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